07.12.2016
Sie arbeiten in Aluminiumfabriken, nähen Kleidung zusammen oder müssen als Haushaltshilfe ständig verfügbar sein. Trotz einer beeindruckenden wirtschaftlichen und sozialpolitischen Entwicklung arbeitet in Bangladesch immer noch fast jedes Zehnte von 40 Millionen Kindern, die im Land leben. Besonders schwer betroffen ist die Hauptstadt Dhaka. In ihren Slums muss fast jedes zweite Kind mit 14 Jahren arbeiten, wie eine am Mittwoch veröffentlichte Studie des Overseas Development Institute in London zeigt.
Eines der überraschenden Ergebnisse:Ausgerechnet der Textilsektor, der Bangladesch in den vergangenen Jahren das Ziel zahlreicher auch internationaler Initiativen war, ist in Dhaka einer der größten Arbeitgeber für Kinder. Zwei Drittel der arbeitenden Mädchen aus den Slums der Hauptstadt sind demnach dort beschäftigt.
«Die meisten dieser Mädchen arbeiten in kleineren Fabrikeinheiten, die dann aber oft großen Exporteuren zuarbeiten», sagt Kevin Watkins, einer der Autoren der Studie. «Es steht völlig außer Frage, dass diese Kinderarbeit also am Ende auch für große westliche Firmen gemacht wird.»
Die Forscher haben für die Studie Kinder und Eltern aus 2.700 Haushalten befragt, die repräsentativ für rund eine halbe Million Slumbewohner in Dhaka stehen. Besonders stark scheint sich die nur sehr kurze Schulpflicht in Bangladesch auf die dort lebenden Kinder auszuwirken. Mit zehn Jahren, wenn die Schulpflicht endet, sind laut der Studie nur 8 Prozent von ihnen Kinderarbeiter. Bei den 14-Jährigen beträgt die Quote hingegen 45 Prozent.
Zu den wichtigsten Empfehlungen der Autoren der Studie gehört folglich, das schulpflichtige Alter auf 14 Jahre anzuheben und gleichzeitig die Ausbildung bis zu diesem Alter kostenlos zu machen.
Rund 4,5 Millionen Kinder arbeiten in Bangladesch unter gefährlichen Bedingungen. Etwa 1,7 Millionen von ihnen leben in der Hauptstadt Dhaka. Mustafiz Mamun hat sie bei ihrer Arbeit begleitet.
Kinder in der Ballonfabrik: Extreme Armut zwingt viele Familien dazu, ihre Kinder zur Arbeit zu schicken. Oft gehen sie einer gefährlichen Tätigkeit im Niedriglohnsektor nach - wie etwa im Ziegelbruch, auf dem Bau, als Abfallsammler oder als Arbeiter in einer Ballonfabrik. Die Ballonfabrik in Kamrangi Char, einem Vorort der Hauptstadt Dhaka, stellt viele junge Menschen, wie diesen 10-jährigen Jungen ein.
Mangel an Kontrollen: Kinder - wie diese in einer Fabrik in Kamrangi Char - kommen bei der Arbeit häufig in Kontakt mit giftigen Chemikalien. Die Regierung in Dhaka hat zwar eine Richtlinie herausgegeben, die Kindern untersagt, in insgesamt 38 gefährlichen Tätigkeitsfeldern zu arbeiten. Allerdings wurde diese Richtlinie praktisch noch nirgendwo in Bangladesch umgesetzt.
Das Gros stellen die Kinder: Generell erhalten Minderjährige in Bangladesch weniger Lohn als Erwachsene. Zudem arbeiten viele von ihnen oft zwölf Stunden am Tag. Das ist auch der Grund dafür, warum die meisten Arbeiter in diesen Fabriken Kinder sind. Sie sind meist in Räumen innerhalb des Fabrikgeländes tätig, um sie vor neugierigen Blicken zu schützen und kein Aufsehen zu erregen. Sie bekommen in der Regel keine Freitage, außer am Freitag, dem religiöser Feiertag in Bangladesch.
Gefährliche Arbeitsumgebung: Das ist Ali Hossain, ein Kinderarbeiter. Er ist fast jeden Tag und jede Nacht in einer Silberfabrik in Keraniganj in Dhaka tätig. Die langen Stunden und der ohrenbetäubende Lärm ruinieren seine Gesundheit und somit seine Zukunft. Vollzeitarbeit trägt auch zu einer hohen Rate an Schulabbrüchen bei.
Kinderarbeit in Gerbereien: Laut nationalem Arbeitsrecht aus dem Jahr 2006 liegt das Mindestalter für Arbeiter in Bangladesch bei 14 Jahren. Doch Asif aus Noakhali ist erst zwölf Jahre alt und arbeitet mindestens zwölf Stunden am Tag. Er trocknet chemisch behandeltes Leder in einer Gerberei in Dhakas Hazaribag. Auf diese Weise verdient er genug Geld, um sich und seine Mutter zu versorgen.
Mutter und Sohn bei der Arbeit: Rabbi stamt aus Chandpur. Er arbeitet mit seiner Mutter in einer Fabrik in Kamrangi Char, die Plastikflaschen herstellt. Der Eigentümer der Fabrik lehnt Kinderarbeit eigentlich ab. Rabbi bekam den Job nur, weil seine Mutter den Eigentümer inständig darum bat, und darauf hinwies, dass sie nicht genug verdiene, um beide zu versorgen.
Kinder helfen beim "Menschen verladen": Etwa 93 Prozent der Kinderarbeiter arbeiten im informellen Sektor - in kleinen Fabriken, an Heimarbeitsplätzen und auf den Straßen, wie etwa diese "Menschenverlader" in Dhaka. Die Kinder helfen Passagieren auf Laster und Busse im öffentlichen Verkehr. Es überrascht daher nicht, dass sie häufig Opfer von Unfällen werden.
Kinder auf dem Ziegelfeld: Ziegel zu zerschlagen ist eine weit verbreitete Tätigkeit in Bangladesch. Viele Kinder arbeiten als Steineklopfer in den Ziegelfeldern von Amin Bazar in Dhaka. Ihnen werden 100-120 Taka für das Tragen von rund 1.000 Ziegelsteinen bezahlt. Die Steine sind sehr schwer, sie wiegen um die drei Kilogramm. Jedes Kind muss zwischen sechs und 16 Ziegel gleichzeitig tragen und sie zum Ziegelsteindepot transportieren.
Gefährdete physische und mentale Gesundheit: Das ist Rahim. Viel Arbeit bei geringem Lohn, schlechte Ernährung, Isolation und riskante Arbeitsbedingungen, wie etwa in dieser Bleifabrik, können die Gesundheit von Kindern wie Rahim nachhaltig gefährden. Darüber hinaus erfahren Kinderarbeiter Rassendiskriminierung, Misshandlung und sexuellen Missbrauch am Arbeitsplatz.
«Die Kinder, mit denen wir gesprochen haben, wollten zur Schule gehen», sagt Studienautorin Maria Quattri. «Aber die Armut bringt die Eltern dazu, Arbeit für ihre Kinder zu suchen. Selbst dann, wenn sie erkennen, dass es ihre Zukunftsaussichten gefährdet.»
Mujibul Haque, Staatssekretär im Arbeitsministerium, stimmt einerseits zu, dass Kinderarbeit immer noch ein Problem sei. Er weist aber auch auf Erfolge seiner Regierung im Kampf dagegen hin. «Wir haben die Zahl der Kinder, die unter gesundheitsgefährdenden Bedingungen arbeiten, zwischen 2003 und 2013 halbiert», sagt er. «Damals waren es noch 3,4 Millionen, heute nimmt ihre Zahl täglich ab.» Außerdem würden Fabrikbesitzer strafrechtlich verfolgt, wenn sie Kinder arbeiten ließen.
Die Regierung in Dhaka hatte sich 2010 zum Ziel gesetzt, dass es bis 2016 keine gesundheitsgefährdende Kinderarbeit mehr im Land gibt. Inzwischen wurde dieses Ziel auf 2021 verschoben. Bis 2030 soll es gar keine Kinderarbeit mehr geben.
Wahida Banu sieht große Hindernisse auf dem Weg zu diesem Ziel. Sie leitet die Nichtregierungsorganisation «Aparajeyo Bangladesh», die sich für die Rechte von Kindern einsetzt. «Kinder in Bangladesch müssen zum Beispiel beim Fischfang, bei der Fischverarbeitung oder als Haushaltshilfe arbeiten, oft unter den riskantesten Bedingungen», sagt sie. «Obwohl die Kinder teilweise wie Zwangsarbeiter gehalten werden, scheint die Regierung zögerlich, das Problem in diesen informellen Sektoren anzugehen.»
Auch Studienautor Watkins warnt:«Die größten Fortschritte im Kampf gegen Kinderarbeit hat Bangladesch auf dem Land gemacht.» Besonders in den Slums der Städte gebe es aber noch immer riesige Probleme. Er kritisiert, dass die Regierung ihre Gesetze nicht wie versprochen durchsetzt: «Selbst, wenn mal ein Fabrikbesitzer verurteilt wird:Die Strafen sind so klein, dass er einfach weitermacht. Was unsere Studie zeigt, ist dass wir es hier mit einem Problem des ganzen Landes zu tun haben, auf das dringend reagiert werden muss.» (dpa)
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